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Wie Neugierde Berge versetzt.

Wie Neugierde Berge versetzt.

Vier Mädels auf Tour durch die 4000er des Monte Rosa Massivs. 

Schon seit meiner Kindheit ist Pippi Langstrumpf mein großes Vorbild. Auch mit 45 noch. Ich finde, man darf sich selbst nicht zu ernst nehmen, sollte stets neugierig bleiben und ab und an mal die eigene Komfortzone verlassen, um den Geist wach zu halten und die Möglichkeiten, die sich bieten, beim Schopf zu packen. Um sich immer wieder selbst herauszufordern und Neues zu erleben. Die Kraft der Gedanken macht es möglich.

Und so finde ich mich eines Abends über die alten Bergsteigerkarten meines Vaters gebeugt am Küchentisch wieder. Mein Finger fährt über die Bergketten des Wallis. Über die berühmten 4.000er. 41 gibt es davon. Ich trinke einen Schluck warmen Tee. Der Geruch von Bergkräutern steigt mir in die Nase. Hütten-Feeling. Leise meldet sich eine Stimme in meinem Kopf: „Was wäre wenn ….?“ Verstand: „Nein unmöglich. Oder doch?“ Stimme: „Vielleicht nicht alle, aber einen Anfang könntest du machen.“ Meine Gedanken schweifen ab. Ich stehe auf dem Gipfel des Allalinhorns, die Luft ist dünn, die Sonne steht am blauen Himmel und um mich herum die schneebedeckten Gipfel von Alphubel, Rimpfisch-, Adler- und Fluchthorn. Etwas weiter entfernt der höchste Berg der Schweiz: der majestätische Dom. Und am Horizont: das Matterhorn. Unter mir Saas Fee und die Suren, die durch das Wirrwarr an Gletscherspalten herauf auf diesen Gipfel geführt haben. Ich fühle es. Und in dem Moment fällt der Entschluss. Zehn Viertausender in fünf Tagen. Das ist machbar. Mit Mut, den richtigen Menschen und einer guten Vorbereitung. Verstand: „Du bist verrückt.“ Stimme: „Zwei mal drei macht vier widewidewitt und drei macht neune, ….“. Es ist zu spät. 

                                       


Anreise und Vorbereitung oder „Ich weiß nicht was ich einpacken soll“ 

Es ist der 6. August 2022. Ich steige aus dem Zug in Landquart und werde von meinen drei Mitstreiterinnen freudig in Empfang genommen. Es scheint, als hätten wir schon jetzt ein Adrenalin-High. Es ist ein knappes Jahr her, seit ich den wahnwitzigen Vorschlag der Tour in einem unserer Marketing-Meetings ganz beiläufig habe fallen lassen. Begeisterte Zustimmung: „Hey, echt gute Idee für die Kampagne unseres neuen wasserdichten Durascent. Wer könnte das denn machen?“ Zaghafte Antwort: „Äh, wir?!“ Doch dann holt mich mein Selbstbewusstsein wieder ein: „Wir machen das. Ein reines Mädels-Team. Alles keine Profis, aber sportlich und in den Bergen unterwegs. Wir können das und ermutigen damit andere, auch ihre Träume in die Tat umzusetzen.“ Gesagt getan. Na ja, fast. Es waren dann doch einige organisatorische Vorbereitungen, etwas Training und mehrere Stunden Fahrt nötig, um heute auf dem Weg nach Saas Fee zu sein. Aber das haben wir ja nun schon hinter uns. Vor uns: zwei Tage Akklimatisierung und aufs Minimum packen. Zweiteres erweist sich als die größere Herausforderung. Fünf Tage dieselbe Hose? Zwei Shirts oder nur eines? Und wie viele Unterhosen braucht man auf 4.000 Metern? Unsere Lösung: Immer ein Teil weniger als wir denken, denn so hat die Hardware auch noch Platz. Und die ist ja nun nicht ganz unwichtig. 


 

Tag 1: Akklimatisierung, Allalin, Altweiberviertausender und Schokokuchen 

Am 8. August, nach einer Wanderung auf die Britanniahütte und ein paar lauen Stunden im idyllischen Bergdorf Saas Fee, brechen wir um 6.00 Uhr endlich Richtung Allalinhorn auf. Ehrlich gesagt, hatten wir kaum mehr damit gerechnet, da die Vorhersagen sehr schlecht waren. Der niederschlagsarme Winter und extrem warme Sommer haben die Spalten größer und mehr werden lassen. Bisherige Wege sind fast nicht mehr begehbar. Die Schneebrücken über die Spalten entweder instabil oder gar nicht mehr vorhanden. Nach umfangreicher Recherche und Gesprächen mit einheimischen Bergführern beschliesst unser Team zusammen mit unseren Bergführern Susi und Michi es zu probieren. Und so steigen wir um 6.15 Uhr in die Gondel, die uns zum Mittelallalin bringt. Dort betreten kurz später die Eiswelt des Feengletschers – oder vielmehr das, was die warmen Temperaturen noch übrig gelassen haben. Einen aperen Gletscher mit tiefen Spalten. Traurig schaut er aus. Noch trauriger macht es uns zu beobachten, dass er an manchen Stellen sogar mechanisch abgetragen wird, damit die Pisten für das Sommertraining der Profis einen soliden Zustand aufweisen. Und auch wir sind Teil des Tourismus am Berg, dessen Nachhaltigkeit in der heutigen Zeit fragwürdig ist. Diese Gedanken begleiten uns nicht nur während des heutigen Aufstiegs, sondern die ganze Tour hinweg. Nachdem wir uns mühsam den Weg durch zwei Schlüsselstellen auf das Feejoch gebahnt haben, ist der Aufstieg über die Westflanke dagegen ein purer Genuss. Nach nur kurzer Zeit erreichen wir den Gipfel des „Altweiberviertausenders“. Der lieblose Titel wird diesem Berg nicht gerecht. Für uns ist er der schönste Gipfel, den wir uns in diesem Moment erträumen könnten. Denn wir sind nicht hier, um Gipfelschwierigkeiten oder menschliche Leistungen zu vergleichen. Wer wären wir, dies zu bewerten, haben wir doch alle unterschiedliche Hintergründe und dennoch ein gemeinsames Ziel. Ein weiteres ist der sichere Abstieg zurück ins Tal. Voller Energie, Stolz und Dankbarkeit kehren wir nach wenigen Stunden zurück und belohnen uns mit einem großen Stück Schokokuchen und einem heißen Kaffee, bevor wir nach Herbriggen aufbrechen, um dort mit der eigentlichen Tour zu starten.  


 

Tag 2: Alphorn, Farfalle und eine persönliche Nemesis 

Ab heute, dem 9. August, geht es fünf Tage durch die Gletscherwelt des Monte Rosa Massivs. Immer entlang der Grenze zwischen Italien und der Schweiz. Die Tour wird auch Spaghetti-Tour genannt. Gleichnamige gibt es allerdings auf keiner der Hütten für uns zu essen. Dafür unfassbar leckere Farfalle, was uns persönlich viel besser gefällt. Denn „Farfalla“ ist ein italienischer Frauenname und bedeutet Schmetterling. Und genau so unbeschwert und leicht fühlen wir uns, als wir das Klein Matterhorn mit all seinen Besuchern hinter uns lassen und unseren Weg aufs Breithorn bahnen. Von hier oben erscheint dieser 4.000er wie ein kleiner Hügel. Auch der Aufstieg dauert nicht lang, bis wir auf dem kleinen Plateau am Gipfel stehen und den Blick nicht vom Matterhorn lösen können, das in all seiner Pracht direkt vor uns steht. Als wäre das nicht schon beeindruckend genug, erklingen hinter uns plötzlich die mächtigen, sehnsüchtigen Töne eines Alphorns und tragen uns fort in eine andere Zeit. Wir fragen nicht nach dem Sinn, sondern nehmen dieses erhebende Gefühl mit auf die schweißtreibende Querung des Gletschers zwischen Breithorn, Castor und Pollux. Der Marsch vorbei an wunderschönen Skulpturen der Vergänglichkeit über verspaltetes Gelände, dessen bizarre Formen jedes Mal einen kleinen Schauder in uns auslösen, zieht sich lange bis zu unserer Unterkunft für die Nacht: die Guide Ayas Hütte. Erschöpft dort angekommen, empfängt uns italienische Gastfreundlichkeit, leckeres Essen und unser erster Spritz für die Tour – für Amy, unsere Kollegin aus Colorado, sogar der erste ihres Lebens. Aber nicht nur das ist ein Novum. Auch die Hüttentoiletten stellen sie vor eine neue Herausforderung – oder in Amys Worten: „My personal Nemesis.“ 

                                       

 

Tag 3: Gänsehaut, Haifischflosse und ein Hinterteil 

Am nächsten Tag klingelt der Wecker um 3.00 Uhr. Binnen einer Stunde haben wir uns angezogen, gepackt, gefrühstückt und sind abmarschbereit. Im Dunklen setzen wir vorsichtig einen Schritt vor den anderen. Die Sinne geschärft. Die Kegel unserer Stirnlampen tanzen wie Glühwürmchen über das große Eisfeld hinter der Hütte. Die Wegführung ist anspruchsvoll, denn es gibt mehr Spalten als erwartet. Gleich zweimal zerschneidet das Geräusch herabfallender Séracs die Stille der Nacht. Gänsehaut – und das nicht, weil es kalt ist. Langsam und konzentriert arbeiten wir uns hoch zum Einstieg in die westliche Gletscherflanke des Castor. Langsam geht die Sonne auf und lässt den Mont Blanc im Morgenlicht erstrahlen. Gänsehaut – jetzt, weil es schön ist. Wir starten mit dem technischen Aufstieg in zwei Seilschaften. Dabei kommen wir nur langsam voran, setzen immer wieder Belays und müssen im oberen Stück an der 55 Grad steilen Eisflanke sogar Eisklettern. Am Firn-Eisgrat sehen wir das erste Mal Richtung Lyskamp. Aber eigentlich haben wir nur Augen für den Grat. Eine maximal 40 cm breite, makellose Haifischflosse, die sich elegant in der Sonne spiegelnd in Richtung Süden zum Gipfel erstreckt. Die erste Seilschaft mit Christina, Katharina und Michi winkt vom Gipfel zu uns herüber, aber das sehen wir schon gar nicht mehr. Wir sind im Tunnel. Und ich habe sowieso nur Augen für Amys Hintern, der gute 30 cm vor mir der einzige Anhaltspunkt ist, auf den ich mich bei der Überschreitung konzentrieren kann. Nach gefühlten zehn Minuten Atem anhalten kommen wir am Gipfel an. Es folgt der maximale Adrenalin-Kick. Es dauert einige Zeit, bis wir ruhig genug sind, um über den Südostgrat zum Felikjoch und von dort aus auf dem breiten Rücken hinab zum Rifugio Quintino Sella abzusteigen. Klar, dass auch hier zur Feier des Tages der Spritz nicht fehlen darf. 


 

Tag 4: Die Crux mit der Crux 

Der 11. August fordert uns die erste Teamentscheidung ab. Gestern hatten wir vom Castor eine gute Sicht auf den für heute geplanten Tourenverlauf. Der Weg zum Naso war extrem von Spalten durchsetzt und die Eisflanke des Naso lag blank. Zudem sah das Wetter für heute wechselhaft aus. Eine lange Tour mit der wohl anspruchsvollsten Schlüsselstelle würde heute vor uns liegen und könnte zur Crux der gesamten Tour werden. Play Safe – das hatten wir uns am Anfang versprochen. Gesagt, getan, denn wir „Farfalle“ sind uns darüber bewusst, dass unser wunderschönes Leben mit einem Flügelschlag vorbei sein kann. Also steigen wir ins Tal ab und fünf Lifte, einen echten italienischen Cappuccino und einige Höhenmeter später befinden wir uns am Ende der heutigen Tagesetappe: der Mantova Hütte. Mit dem Fuß kaum in der Hüttentüre, öffnet der Himmel seine Schleusen und lässt es aus Eimern regnen und hageln. Wir sind froh, im Warmen zu sitzen und froh über die Entscheidung, die wir als Gruppe getroffen haben. Bestätigt werden wir darin, als wir nachmittags mit ansehen, wie einige Bergsteiger am Naso ausgeflogen werden. Das motiviert uns, den restlichen Tag damit zu verbringen, Seilsicherungs- und Selbstrettungstechniken am Dachbalken der Hütte zu trainieren, bis wir endlich wieder Spritz trinken, unsere Pasta essen und danach ins Bett dürfen. 


 

Tag 5: Gipfel sammeln, persönliche Grenzen ausloten und Träume wahrwerden lassen 

Heute steht der längste Tag der Tour bevor. Und der mit den meisten Gipfelmöglichkeiten. Wir sind ausgeruht und haben uns an das frühe Aufstehen schon gewöhnt. Alle bis auf Christina. Sie stellt ihren eigenen Rekord im „wach sein“ auf. Bisher kommt sie auf 12 Stunden Schlaf in vier Tagen. Und auch heute kann sie noch einmal ordentlich einen drauflegen. 2.30 Uhr ist aber auch einfach keine gute Zeit – weder für den Biorhythmus, noch für den Magen, der sich quält, die notwendigen morgendlichen Kalorien aufzunehmen. Kurz nach dem Wecker treten wir hinaus in die klare Sternennacht und tasten uns über das steinige Terrain hinter der Hütte vorsichtig Richtung Lysgletscher. Ein langer Aufstieg bis zur Abzweigung zur Vincentpyramide liegt vor uns. Die Sonne wandert über den Grat und im Sonnenlicht steigen wir den nordwestlichen Hang hinauf zum Gipfel. Hier zelebrieren wir die erste von etlichen Gipfelumarmungen heute. Und ehe wir uns versehen, stehen wir auch schon kurz vor dem nächsten Gipfelanstieg. Die Ludwigshöhe mit ihrem überfirnten Buckel ist der südlichste 4.000er der Schweiz und liegt im Schatten der Signalkuppe, gleich neben der 4.432 m hohen eleganten Parrotspitze. Beide „nehmen wir im Sturm“. Es ist ein bisschen wie Gipfel sammeln. Und wir ein bisschen im Höhenrausch. Vielleicht ist es genau dieser, der uns die Entscheidung treffen lässt, trotz Müdigkeit und Erschöpfung auch noch die Zumsteinspitze zu besteigen. Und mich vergessen lässt, dass Katharina meint, ich solle mir meinen als Belohnung für meine Mitstreiterinnen ausgelobten Kuchen in den Allerwertesten schieben. Am Ende sind wir alle mehr als happy auf 4.563 m den vierten Gipfelerfolg des Tages zu feiern. Jetzt mischt sich Endorphin mit Erschöpfung. Dabei haben wir noch einen Gipfel vor uns, die Signalkuppe. Sie ist nicht nur der letzte Gipfel des Tages, sondern auch Heimat der höchsten Hütte Europas - unserer heutigen Schlafstätte: die Margheritahütte. Mit letzter Kraft kämpfen wir uns den Hang hinauf und liegen uns nach fünf Tagen und acht 4.000er Gipfeln in den Armen. Völlig überwältigt stellen wir fest, dass Träume wahr werden können, wenn wir den Mut haben, ihnen zu folgen.  


 

Tag 6: Abstieg und Conclusio 

Nach einer Nacht ohne Schlaf – diesmal für alle, steigen wir noch vor dem Morgengrauen ab. Und auch hier erfolgt eine Planänderung nachdem der Monte Rosa Gletscher in einem schlimmen Zustand ist, der langwieriges Navigieren notwendig machen würde. Zudem fallen bereits schon vor Sonnenaufgang die Séracs von der Norwand des Lyskamp. Wir wählen einmal mehr den sichereren, wenn auch längeren Abstieg über die Aufstiegsroute hinab nach Staffal im Aostatal. Von dort über Cervinia und den Theodulgletscher nach Zermatt und mit der Bahn zurück nach Herbriggen. Am Ende kommt eine schmutzige, entkräftete aber völlig euphorische Gruppe ans Ziel. Angetrieben von der Neugier, die eigenen Grenzen auszuloten haben wir am Ende so viel mehr mitgenommen: Das Gefühl der Freiheit, die Demut ob der Mächtigkeit der Natur, die Perspektive auf das eigene Leben und dessen Vergänglichkeit und die Dankbarkeit für dieses Erlebniss. Denn eines ist klar, wir müssen handeln, damit auch zukünftige Generationen die Lehren der Berge erleben können und nicht in den Leeren der Berge herumirren müssen. 


 

Und weil last immer noch nicht least ist: 

Ein besonderes Danke an die Crew: Christina, Katharina, Amy – ihr wart die beste Seilschaft, die ich mir für diese Spritztour hätte vorstellen können. Michi und Susi – eure Souveränität und Geduld haben alle Schwierigkeiten klein erscheinen lassen. Julian – ohne dich, gäbe es nur Text. Dank dir, die schönsten Erinnerungen. deuter: ohne die Unterstützung des Teams und der Firma hätten wir uns diesen Traum wohl nicht „so schnell“ erfüllen können. Danke euch!