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Maritimer Marmor: Ein Abenteuer zwischen Wellen und Klettern

Maritimer Marmor: Ein Abenteuer zwischen Wellen und Klettern

Anáfi, eine malerische Insel in Griechenland, wird im Oktober 2023 zum Schauplatz eines außergewöhnlichen Abenteuers für drei unerschrockene Felspiraten: Florian aus Tübingen, Kapitän und Besitzer des Segelboots „Merlin“, sowie Alexandra und Christopher aus Dornbirn, zwei leidenschaftliche Kletterer ohne nautische Erfahrung. Gemeinsam haben sie einen kühnen Plan: das Ägäische Meer überqueren, unbekannte Felsen erkunden und eine neue Kletterroute vom Deck ihres Segelboots aus wagen.

„Die Boje ist weg“, ruft Flo vom Vorschiff aus. Er steht an den Mast gelehnt, sein Kaffeeglas in der Hand und schaut angestrengt auf die Piratenbucht. Alle kneifen die Augen zusammen und starren gebannt auf die glitzernde Wasseroberfläche. Genau hier hatten wir vor einigen Tagen unseren Anker geworfen, um das Boot am Tag der Erstbegehung, also heute, zu befestigen. „Meine Güte, hat uns wirklich jemand den Anker geklaut?“, entfährt es Flo. Ohne den Anker gibt es keinen sicheren Platz für das Boot. Eine bedrückte Stimmung breitet sich aus, denn unser Durchstieg rückt schlagartig in weite Ferne.


                                       
 

Wege zum Ziel

Am Anfang unserer Reise stand ein Experiment: Konnten wir ohne den Komfort des Fliegens bis auf die ferne Peloponnes gelangen? Um uns dann auch noch mit dem Wind zur Kletterinsel unserer Träume wehen zu lassen? Flo wählt das Rennrad, den Bus und die Fähre als seine Fortbewegungsmittel von Tübingen aus, während Chris, und ich die Zug-Fähre-Bus-Route von Dornbirn in Vorarlberg bevorzugen. Als umweltfreundliche Alternative geplant, zeichnen sich bereits bei der Anreise die ersten Abenteuer ab. Trotz Bahnverspätungen und eigener Unachtsamkeiten (Chris und ich waren tatsächlich einmal auf dem falschen Dampfer), sowie Flos artistischem Einfall, mit dem Fahrrad in die Büsche zu verschwinden, verweben sich unsere Reisewege schließlich in Leonídio, wo wir uns am Hafen treffen und auf das bevorstehende Abenteuer vorbereiten.

                                       
 

Ein einzigartiges Trio

Die Aufgabenverteilung innerhalb unserer Expedition nimmt schnell klare Konturen an, da sie sowohl mentale Ausdauer als auch ein breites Spektrum an Fähigkeiten erfordert. Die ersten fünf Tage unserer Reise verbringen wir auf dem teils stürmischen Meer, navigierend mit dem acht Meter langen Regattaboot „Merlin“, um von Leonídio nach Anáfi zu segeln. Flo übernimmt als Kapitän die Verantwortung für alles, was mit dem Nautischen zusammenhängt. Matrose Chris, der die Seefahrt nicht gut verträgt und mit Seekrankheit zu kämpfen hat, muss sich durch diese Herausforderung kämpfen. Ich hingegen hege eine tiefe Furcht vor dem offenen Meer, insbesondere den Nachtfahrten, die bei einer so langen Segelüberfahrt unvermeidlich sind. Mir ist nicht klar, wie es möglich ist, dass ein Segelboot im Meer nicht kentert, selbst wenn es ständig in extreme Schräglage gerät. Während Chris mit grünem Gesicht einen Punkt am Horizont fixiert und ich in Gedanken bereits mein Testament schreibe, ist Flo bester Laune. Gelassen liest er seine Bücher, versorgt uns mit erfrischenden Ingwerstücken und reicht uns salzige Erdnüsschen, als wäre das Schaukeln des Bootes ein vergnüglicher Zeitvertreib.


 

Meuterei auf dem Merlin

Um die Stimmung innerhalb der Crew hochzuhalten, legen wir kleine Schnorchel-Zwischenstopps ein und absolvieren eine Erstbegehung über drei Seillängen auf einer unbewohnten, vulkanischen Insel namens Antímilos, die wir „Meuterei auf dem Merlin“ taufen, Schwierigkeitsgrad 6c. Zwei endlose Tage auf hoher See später erreichen wir die Insel Anáfi mit ihrer beeindruckenden, fast 500 Meter hohen Südwand, die majestätisch direkt aus dem Meer emporsteigt. Die Marmorformation des Mount Kálamos trägt stolz den Titel als "zweitgrößter Monolith Europas". Zufällig hatte eine Gruppe um Kyriakos Rossidis im Frühling 2023 eine Route hier erstbegangen, von der wir die erste Wiederholung ergattern.

Im Gegensatz zum Segeln auf offenem Meer, was mir ehrlich gesagt gehörigen Respekt eingeflößt hat, teilt Flo diese Sorgen beim Klettern in unbekanntem Terrain. Hier können Chris und ich mit unserer Erfahrung punkten, wohl wissend, dass uns auf einer abgelegenen Insel ohne Mobilfunknetz in der Wand bei einem Unfall keine schnelle Hilfe erreichen würde.

Wir kämpfen uns im Vorstieg, Seillänge um Seillänge, die Wand hinauf, geblendet vom Glanz des weißen Marmors in der grellen Sonne. Risse und einzigartige Marmorformationen weisen uns den Weg nach oben. Das Gestein erweist sich überraschend rau und sauber; lediglich einige lose Felsbrocken müssen wir ins Meer befördern.

Für die Erkundung und das Einbohren der Route benötigen wir fünf Tage. Insgesamt erschließen wir 520 Klettermeter, die wir in 16 Seillängen einteilen. Zur Hilfe nehmen wir Skyhooks, Cams und Klemmkeile. Zwei Akku-Bohrmaschinen haben wir dabei – für den Fall, dass eine ins Meer fällt. Aufgrund des korrosiven Klimas entscheiden wir uns für Titan-Haken, um keine rostenden Ruinen in dieser marmorierten Natur zu hinterlassen.

                                       
 

Logistische Herausforderungen

Eine Route auf einer entlegenen Insel direkt über dem Meer einzubohren, hält eine Vielzahl von Herausforderungen bereit. Wie gelangt man zu dritt vom Boot an den Felsen? Wir entwickeln folgenden Plan: Ein Crashpad wird am Bug des Schiffes befestigt, sodass Chris und ich vom Vorschiff aus auf die Felsen springen können. Anschließend stoßen wir das Boot mit aller Kraft vom Felsen weg, und Flo steuert es in eine nahegelegene Bucht, wir nennen sie Piratenbucht, wo wir zuvor einen Anker positioniert haben. Dort angekommen, befestigt er das Boot am Anker und paddelt mit unserem Beiboot, einem Stand-Up-Paddleboard, zurück zum Einstieg, wobei ihm die von uns fixierten Seile den Weg weisen. Abends seilen wir ab, Flo paddelt retour, holt Merlin und uns und wir segeln in den Hafen von Anáfi zurück. Einmal entkommen wir nur knapp einem Unglück, als ein Felsbrocken in der Größe unseres Haulbags beinahe unser Segelboot versenkt hätte – vermutlich ein Werk von Ziegen in der Gipfelregion.


 

Göttinnen in Griechenland

Zwischen den anstrengenden Arbeitstagen gönnen wir uns die himmlischen Freuden einer abgeschiedenen Ferieninsel. Wir lassen uns verzaubern von den malerischen, einsamen Sandstränden und baden in der warmen Oktobersonne. Wir nippen genüsslich an aromatischem Fredo Espresso in den kleinen, charmanten Cafés in Chóra, dem einzigen Dorf. Jeden Ruhetag führt uns unser Weg zur kleinen, rustikalen Bäckerei des Dorfes, deren Köstlichkeiten die Göttinnen höchstpersönlich gebacken haben müssen.


 

Der große Tag

Bevor der ersehnte Höhepunkt unserer Kletterexpedition erreicht wird, heißt es erst einmal: Putzen. Vom Gipfel aus seilen wir ab, fegen Standplätze, räumen Steine und Fixseile aus und verbinden Umlenker. Dann, endlich, bricht der große Tag an: die Herausforderung der Rotpunktbegehung der längsten Route, die wir je eingebohrt haben mit Schwierigkeiten bis 7c.  Die Tage sind kurz und bei einer Dreierseilschaft, die auf dem Seeweg anreist, muss alles reibungslos ablaufen. Noch in der Dunkelheit brechen wir im Hafen auf, der Kaffee schwappt aus den Tassen, während wir an Deck frühstücken. Doch dann der Schock: Die Boje, an die Merlin sicher am Tag „angeleint“ hätte bleiben sollen, während wir klettern, ist verschwunden.

Es hilft nichts, Matrose Chris schnappt sich kurzentschlossen seine Flossen und Taucherbrille, um den Anker zu suchen. In acht Metern Tiefe erblickt er ihn, und nun heißt es Luft anhalten. Die Sekunden vergehen quälend langsam, während wir Chris durch das klare Wasser beobachten, wie er versucht, den schweren Anker zu heben und nach oben zu bugsieren. Zu allem Überfluss bewacht ein riesiger Seeigel unser wichtigstes Stück Metall. Das Apnoe-Training zahlt sich aus – nach etwa 45 Sekunden taucht Chris wieder auf, die Ankerleine in der Hand. Sie hatte sich um einen Stein gelegt und wurde durch die Meeresbewegung durchgescheuert. Wir binden  ein neues Seil an den Anker und versenken ihn weit weg von scharfkantigen Steinen, eine neue Boje schaukelt auf den Wellen zum Abschied. Durch diese Unterbrechung sind wir nun eine Stunde später am Einstieg als geplant. Nun heißt es: Gas geben!

Jeder Griff, jeder Tritt muss präzise und bedacht gesetzt werden, während wir uns Meter für Meter, Seillänge für Seillänge, an der marmorweißen Felswand nach oben arbeiten. Als wir uns der Schlüsselseillänge in Wandmitte nähern, steht die Sonne hoch am Himmel, das Meer reflektiert die Strahlen und der Schweiß perlt uns von der Stirn. Auf Schatten oder Wind können wir nicht warten, die Euphorie des bevorstehenden Gipfelglücks treibt uns voran. Auf Anhieb steigen wir alle durch und der Weg zum Gipfel ist frei. Unsere Muskeln brennen und die Stimmung wird immer elektrisierender. Niemand will sich die Blöße geben. Entschlossen überwinden wir Seillänge um Seillänge, sieben davon zwischen 6c und 7b+. Am Ende stehen wir im Dunkeln aber triumphierend am Gipfel unserer Reise, überwältigt von einem Gefühl der Erfüllung und des Stolzes.
 


Zur Feier des Tages haben wir uns entschieden, nicht im Boot, sondern auf dem festen, steinigen Boden oben auf dem Gipfel beim alten Kloster zu übernachten. Die Sterne beginnen zu funkeln, als würden sie unsere kleine Feier von oben beobachten. Unsere kulinarischen Genüsse sind einfach. Wir öffnen Dosen mit gefüllten Weinblättern, dazu knabbern wir an Chips. Dieses bescheidene Mahl, genossen auf uralten Klostertreppen und unter dem Sternenhimmel, hat einen Hauch von Luxus, den kein Fünf-Sterne-Restaurant bieten kann.

Nach dem Abschluss der Expedition sind wir nicht nur um unvergessliche Erfahrungen reicher, sondern auch um eine Vielzahl neuer Fertigkeiten. Zwischen den Wellen und Felsen lernten wir einander zu vertrauen und die Ängste des jeweils anderen zu respektieren. Als bleibende Erinnerung unserer abenteuerlichen Reise blinkt entlang der steilen Südküste der Insel nun eine neue, 520 Meter lange Attraktion, ausgestattet für die Ewigkeit mit robusten Titanhaken.
 

Facts

·          „Strompiraten“, 16 Seillängen, 462 Meter Wandhöhe, 520 Meter Kletterstrecke an feinstem Marmor. (4, 5b, 5c, 6a+, 6c, 7a, 7c, 7a+, 7a, 7b, 6c+, 7b+, 7a+, 6c, 5c, 5c) Exposition Süd-Ost. Alle Stände sind ausgerüstet mit zwei Titanhaken und Abseilmaillons, verstellbaren Schraubschlüssel mitnehmen!  12 Expressen, ein Satz DMM Dragon Cams von 00 (blau) bis 5 (gelb), zwei DMM Dragonfly Offset Cams 2/3 und 3/4, 50 Meter Halbseile oder 50 Meter Einfachseil und Tagline. Erste freie Begehung am 24. Oktober 2023 durch Alexandra Schweikart, Christopher Igel, Florian Schüle.

·         Anreise, Unterkunft: Mit dem Segelboot oder mit der Fähre von Athen über Santorini nach Anáfi in der südlichen Ägäis. Hier leben etwa 300 Menschen, es gibt kleine Tavernen, Supermärkte, einen Bäcker, Unterkünfte und eine Erste Hilfe Station. Eine neue Hafenanlage mit Strom und Wasser wurde gebaut, stand Herbst 2023 war sie noch nicht in Betrieb. Wir haben größtenteils auf dem Boot übernachtet.

·         Zustieg: Mit dem Segelboot bis zum Einstieg. Bei drei Personen können zwei am Felsen abgesetzt werden während die dritte Person zur nächsten möglichen Ankerbucht zwei Kilometer zurück fahren muss um dann in einem Beiboot/SUP nachzukommen. Alternativ kann man im Hafen versuchen, einen Fischer zu einer Taxifahrt zum Felsen zu überzeugen. Abseilen über die Route ist möglich, aber unangenehm.

·         Abstieg: zu Fuß über den Gipfelgrat des Mt. Kálamos, nach Westen, vorbei am Kloster auf dem Gipfel „Virgin Mary the Kálamiotissa“ hinab auf gutem Wanderweg zum Kloster „Moní Zoodóchos Pigí“. Eineinhalb Stunden. Dann schwimmend zum Boot.

·         Detailliertes Topo unter www.alexandraschweikart.de

 

Anreise mit ÖPNV nach Leonídio

Von München über Salzburg fährt täglich der ÖBB Nightjet nach Rom. Von hier mit Trenitalia in die Hafenstadt Bari. Mit der Fähre setzt man über nach Patras. Von hier fährt ein Bus Richtung Athen, den man nur bis Isthmía nimmt. Hier kann man den Kanal von Korinth besichtigen, während man auf einen Bus wartet, der von Athen kommend nach Leonídio fährt. Buszeiten in Griechenland muss man an den jeweiligen Busstationen (K.T.E.L) erfragen und auch die Tickets dort kaufen. Insgesamt verbringt man eine Nacht im Nachtzug, eine Nacht auf der Fähre und kommt an Tag 3 an.